Jamboree 2019
© Unit Sophie Scholl

Lightning alert ohne Gewitter in West Virginia oder: der VCP Mitteldeutschland auf dem World Scout Jamboree 2019

„Summmmmm….“ Teddy, unser Unitleiter, probierte offenbar wieder eine seiner alternativen Weckmethoden aus, deren Vor- und Nachteile wir in den dreieinhalb Wochen auf der anderen Seite des Atlantiks zur Genüge erkunden durften.

Wir waren auf der Bruce Peninsula, einer sehr großen Halbinsel am Lake Huron in Kanada – das ist da, wo die Großen Seen sind –, mitten auf der Jamboree-Vortour. Und wir, das waren 35 Jugendliche aus dem östlichen Teil Deutschlands und ihre vier Unitleiter, die nicht viel älter waren und die sich erst auf unserem ersten Vortreffen Ende November 2018 das erste Mal vollständig sahen – genau wie unsere gesamte Gruppe. Wir waren im Rudolf-Mosse-Stift in Berlin und beschäftigten uns mit Unitregeln, Unitnamen und vielem mehr. Wir einigten uns auf ‚Sophie Scholl‘, unwissend dass wir damit als einzige Unit eine Frau zur Namenspatronin gewählt hatten.

Dann sahen wir uns lange Zeit nicht. Erst wieder Mitte Mai auf einem Bauhütte-artigen Bauernhof vom BdP irgendwo in Brandenburg und dort regnete es durchweg.

Wir hatten uns dafür entschieden, unsere Unitbadges per Siebdruckverfahren selbst zu drucken – dem stand wegen des Trocknens nur der Regen etwas im Weg. Glücklicherweise gab Aufnähertrocknen im Pizzaofenes auf dem Bauernhof einen Pizzaofen, in dem wir die Aufnäher, die wir auf Kohtenstoff gedruckt hatten, trockneten. Während dieses Vortreffens sahen wir uns alle auch das erste Mal in den berühmt-berüchtigten Ringekluften. Eine sehr interessante Erfahrung, denn plötzlich spielte es keine große Rolle mehr, aus welchem Bund man jetzt war und Unterschiede ließen sich weniger feststellen als Gemeinsamkeiten.


Schon kurze Zeit später (zwei Wochen) fuhren wir gemeinsam auf das Vorlager mit dem gesamten Deutschen Kontingent zum Bundeszeltplatz des BdP nach Immenhausen, wo wir uns immer mehr kennenlernten. Das Programm dort war geprägt von Workshops und davon, dem Rest des Kontingents zu begegnen. Dabei traf ich auch Jenny aus Hessen wieder, die ich auf dem Bundeslager 2017 in Wittenberg kennengelernt hatte.

Das Deutsche Kontingent beim Vorlager in Immenhausen

Und wieder kurze Zeit später (wieder zwei Wochen) fand unser drittes und letztes Vortreffen statt, das gezeichnet war von der geringen Teilnehmer*innenzahl, der Autopanne unserer Unitleitung und unseres Schollenlaufs durch die Umgebung. Wir waren im Pfadfinderheim des VCP Sachsen in Höfgen untergebracht und bereiteten uns intensiv auf die Reise vor. Eine Unitfahne entstand.

Und dann war der 10. Juli 2019: In Frankfurt trafen sich ‚Sophie Scholl‘ und andere Units, um den Hinflug nach Toronto in Kanada zu bestreiten und die letzte Gelegenheit wahrzunehmen, „deutsches“ Essen zu genießen.

In Toronto angekommen, traf uns der Jetlag und die feuchte Hitze mit voller Wucht – kurz darauf dann auch die „Weißbrotscheiße“, die es bei uns täglich zu essen gab. In Toronto waren wir bei kanadischen Pfadfinder*innen untergebracht – um genau zu sein in einer Kirche. Von dort aus unternahmen wir Ausflüge in den Wald und in die Innenstadt.Gar nicht so leicht, die richtigen Schuhe wiederzufinden...

Ein paar kaputte Füße und eine sehr lange Busfahrt weiter (mit dem unglaublichen Zwischenstopp „Niagara Falls“) waren wir bei der nächsten Etappe zum Jamboree angekommen: Bruce Peninsula.

Im dortigen Nationalpark genossen wir die Idylle der Natur, das gemeinsame Kanufahren, schwimmen, klampfen und das immer weitere Zusammenwachsen unserer Gruppe. Auf der Bruce Peninsula hatten wir dann auch unseren ersten mittelschweren Weltuntergang, als ein stundenlanger Regen über Nacht den kompletten Lagerplatz, der einem Schotter-Fußballplatz glich, rptflutete. Eine Kohte war total „unterwassert“ und dabei hatten wir noch Glück: Die benachbarte Unit ‚Leibniz‘ musste weitaus größere „Verluste“ hinnehmen. Nach dem Trocknen wurde alles Negative aber wieder in den Schatten der unglaublichen Abende und der natürlichen Vielfalt gestellt.


 Nach der nächsten langen Busfahrt trafen wir in Goshen, wo die Boy Scouts of America einen Zeltplatz haben, das Deutsche Kontingent wieder: Bei den so genannten Akklimatisierungstagen sollten wir für das Jamboree akklimatisiert werden – und das hatten wir au                                    ch nötig, denn in Goshen war es extrem heiß und luftfeucht. Der zweite Tag dort war für eine Washington-Besichtigung in Kleingruppen vorgesehen, die zwar sehr beeindruckend war, allerdings auch sehr verlustreich für unseren Wasserhaushalt… Am dritten Tag in Goshen feierten wir zeremoniell noch die deutsch-französische Freundschaft und dann ging es mit einem Hochgefühl Richtung West Virginia zum Jamboree.

Das immer mehr gewachsene Miteinander, Vorfreude, aber sicherlich auch Nervosität prägten die Anreise zum Lagerplatz, die aufgrund der nicht gerade ebenen Landschaft so manchen Busfahrer ins Schwitzen brachte.

Dort angekommen schlug die Vorfreude in schlechte Stimmung um, es regnete durchweg, die Zelte wollten (mit viel zu instabilen und zu kurzen Stangen) aufgebaut werden und es herrschte das typische Ankommen-Chaos.

Doch das legte sich relativ schnell und wir stürzten uns in die Foodhouses, in denen man das Essen der anderen Kulturen kennen- und häufig auch schmecken lernen konnte, in den2019 07 jamboree 7 Kulturaustausch mit anderen Nationen als Unit, zum Beispiel mit Schweizer*innen, Australier*innen, Kenianer*innen und weiteren, aber auch einzeln beim Streunen über den riesigen 4.000 ha großen Lagerplatz, in das fleißig betriebene „Swapping“, den Halstuchtausch, in die interkulturellen Singerunden, zum Beispiel mit Dänen, ins Freunde-finden, ins Erklären, was „German Black Tents“, deutsche Schwarzzelte, ausmacht und dass sie tatsächlich wasserdicht sind, und leider auch in die langen Wartezeiten im Medical Center, die wir, beziehungsweise unsere Unitleiter, ziemlich häufig in Anspruch nehmen mussten.


In Erinnerung bleibt mir der ständige „Lightning alert“ ohne ein darauf folgendes Gewitter, das schlechte Essen, heiße Zelte, sehr viel fehlende Nachhaltigkeit trotz des Hauptthemas „Sustainability“, aber eben auch sehr viele Freundschaften, der Kulturcrash, die ‚Scouts for Future‘-Demonstration, die von ‚Sophie Scholl‘ organisiert wurde und der sich innerhalb eines Mobilisierungstages über 500 Menschen anschlossen und viel Aufmerksamkeit erzeugten, und die Erfahrung, dass Menschen aus 150 Nationen ohne Krieg und Krisen aufeinandertreffen können.

Aber vor allem bleiben die ganzen Menschen, die ich während der Zeit dort drüben zu schätzen gelernt habe und die sich so wichtig sind, dass sie mittlerweile zwei Nachtreffen organisiert haben und schon Pläne über künftige Fahrten schmieden….

 

 

Jamboree als ein Once-in-a-lifetime-Erlebnis - eine kritische Perspektive

In der anp gab es einen kritischen Artikel zum Jamboree, der mich sehr angesprochen hat - und ich habe daraufhin einen Leserbrief geschrieben.
Hier geht's zum Artikel im VCP-Blog: #doppelmoral - Wie cool ist Pfadfinden zwischen F4F und WSJ (VCP-Blog)
Und hier zum Leserbrief: Leserbrief zum Artikel: #doppelmoral - Wie cool ist Pfadfinden zwischen F4F und WSJ? (VCP-Blog)

 

Das 24. World Scout Jamboree in Nordamerika - Harte Fakten

Teilnehmer*innen:

  • 45.000 + ca. 5.000 IST‘ler*innen (Helfer*innen)

  • davon 1.304 aus Deutschland

  • davon 1.062 Teilnehmende und 119 Unitleiter*innen sowie 71 IST‘ler*innen und 52 Kontingentsteamer*innen in insgesamt 30 Units

Logistik-Krams:

  • 1.168 Heringe

  • 720 Jurten-Seitenbahnen

  • 488 Jurten-Seitenstangen

  • 440 Abspannseile

  • 141 Jurten- und Kohtenbahnen

  • 44 Jurtendächer

Und: mindestens ein Heiratsantrag!